Soziale Marktwirtschaft: Grundlagen und Grundprobleme

Soziale Marktwirtschaft: Grundlagen und Grundprobleme
Soziale Marktwirtschaft: Grundlagen und Grundprobleme
 
Das Leitbild der sozialen Marktwirtschaft entstand gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und griff Elemente des Neoliberalismus und der christlichen Soziallehre auf. Geistige Väter des Konzepts waren Walter Eucken (1891-1950), Professor für Volkswirtschaftslehre, und Alfred Müller-Armack (1901-1978), späterer Abteilungsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft. Diese Wirtschaftsordnung wurde in der Bundesrepublik Deutschland insbesondere durch den Bundeswirtschaftsminister und späteren Bundeskanzler Ludwig Erhard (1897-1977) politisch durchgesetzt. In ihr kommt dem Staat die Aufgabe zu, die sozial unerwünschten Auswirkungen der Marktwirtschaft zu verhindern oder wenigstens abzumildern. »Sozial« steht für soziale Gerechtigkeit und Sicherheit, »Marktwirtschaft« steht für wirtschaftliche Freiheit.
 
 Grundgedanken der sozialen Marktwirtschaft
 
Wirtschaftliche Freiheit bedeutet, dass Verbraucher frei entscheiden können, welche Güter sie kaufen (Konsumfreiheit). Der Eigentümer an Produktionsmitteln kann frei wählen, ob er seine Arbeitskraft, Sachgüter oder unternehmerischen Fähigkeiten zur Verfügung stellt (Gewerbefreiheit, Berufsfreiheit und Freiheit der Eigentumsnutzung). Unternehmer haben die Freiheit, Güter nach ihrer Wahl zu produzieren und abzusetzen. Käufer und Verkäufer von Gütern oder Dienstleistungen besitzen die Freiheit, sich neben anderen um das gleiche Ziel zu bemühen (Wettbewerbsfreiheit). Nur mittels eines funktionsfähigen Wettbewerbs werden über Angebot und Nachfrage die Wirtschaftspläne so aufeinander abgestimmt, dass die Wirtschaft quasi wie von selbst ihren bestmöglichen Zustand erreicht. Zu diesem Zweck setzte Erhard das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (1957) durch. Die Marktfreiheit soll durch den Staat dort beschränkt werden, wo sie die soziale Gerechtigkeit und die soziale Sicherheit gefährdet. Der Wirtschaftspolitik kommt z. B. die Aufgabe zu, die negativen Folgen von Konjunkturschwankungen (Arbeitslosigkeit, Inflation) zu dämpfen. Die Einkommens- und Vermögensverteilung soll vor allem im Interesse der nicht am Wirtschaftsprozess beteiligten Gruppen staatlich korrigiert werden; es findet eine Umverteilung (Distribution) statt. Instrumente solcher wirtschaftspolitischen Maßnahmen sind beispielsweise progressive Einkommen- und Vermögensteuern, Sparprämien und lohnpolitische Maßnahmen. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände stellen dabei als Sozialpartner (Tarifpartner) eine wichtige Einflussgröße in den Strukturen der sozialen Marktwirtschaft dar. Sozial Schwächere werden durch ein soziales Netz (z. B. durch Arbeitslosenversicherung, Kinder- und Erziehungsgeld, Wohngeld, Sozialhilfe) abgesichert. Der Staat übernimmt Aufgaben, die über den Markt nicht oder nur sehr eingeschränkt angeboten werden können (Marktversagen), wie etwa struktur- und bildungspolitische Aufgaben.
 
 Ein Pferdewagen auf seinem Weg
 
Ein schönes Bild für das Leitbild der sozialen Marktwirtschaft ist ein von Pferden gezogener Wagen. Der Weg wird durch die Bedürfnisse der Konsumenten vorgezeichnet. Der Wettbewerb hält die Pferde in Trab. Falls die Pferde drohen, den richtigen Weg zu verlieren, bringt der wirtschaftspolitische Lenker auf dem Kutschbock des Wagens sie durch die Zügel wieder auf den richtigen Weg zurück. Drohen sie sogar durchzugehen oder stehen zu bleiben, dann werden sie gebremst oder angetrieben. Für alle Bürger, die ganz oder teilweise nicht mithalten können, werden dauerhaft oder zeitweise Sitzplätze in der Kutsche bereitgehalten.
 
 Das dualistische Menschenbild
 
Die soziale Marktwirtschaft hält grundsätzlich am Ideengut des Individualprinzips fest. Die Handlungsfreiheit des Einzelnen sollte allerdings dort aufhören, wo fundamentale Rechte und Lebensinteressen anderer eingeschränkt werden. Das Grundziel dieser Wirtschaftsordnung heißt entsprechend: »So viel Freiheit wie möglich, so viel staatlicher Zwang wie notwendig.« Die Aufgabe der sozialen Marktwirtschaft ist es, auf der Grundlage der Marktwirtschaft das Prinzip der Freiheit mit dem des sozialen Ausgleichs und der sozialen Gerechtigkeit zu verknüpfen. Der Mensch wird also sowohl als Individual- als auch als Kollektivwesen betrachtet. Damit liegt die Wirtschaftsordnung der sozialen Marktwirtschaft zwischen den beiden Extremen der auf dem Individualprinzip aufgebauten Marktwirtschaft und der auf dem Kollektivprinzip aufgebauten Planwirtschaft.
 
 Kritik an staatlichen Regelungen
 
Soziale Sicherheit soll im Rahmen des Leitbilds auch dadurch herbeigeführt werden, dass Anpassungen an Änderungen der Wirtschaftsstruktur erleichtert werden. Staatliche Eingriffe sind hier allerdings oft umstritten. So wird etwa die Unterstützung des deutschen Steinkohlenbergbaus durch Subventionen seit langem kontrovers diskutiert. Grundsätzlich ist der Staat verpflichtet, seine Subventionsleistungen regelmäßig zu überdenken, damit sie sich nicht verstetigen, sondern lediglich Übergangshilfen bleiben.

Universal-Lexikon. 2012.

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